Verwirrung
Fromme-NL, 27.11.2017
Wenn es um die sogenannte stillschweigende
Haftungsbeschränkung geht, vertreten die zuständigen Senate des
Bundesgerichtshofs (BGH) höchst unterschiedliche Auffassungen Roma locuta causa
finita! (Rom hat entschieden, die Sache ist erledigt) Diese auf den
Kirchenlehrer Augustinus zurückgehende klassische Form des „Basta“ gilt unter
Juristen auch für die höchstrichterliche Rechtsprechung unseres Bundesgerichtshofs
(BGH), der streitige Rechtsfragen einer abschließenden Beurteilung zuführen
soll. Causa finita, die Sache ist entschieden, und zwar endgültig. Spätere Änderungen
der Rechtsanschauung, neue Argumente, veränderte Sachverhalte oder neue Richter
in den Senaten des BGH mögen zu einer Neubewertung führen, aber für die
aktuelle Rechtswirklichkeit soll es eine verbindliche Regelung geben. So werden
die hohen Rechtsgüter der Rechtssicherheit und der einheitlichen Rechtsanwendung
gesichert.
Ob das allerdings auch für stillschweigende
Haftungsbeschränkungen gilt, muss offen bleiben. Mit denen hatte sich der BGH
in jüngster Vergangenheit gleich mehrfach befasst – eine der Entscheidungen hat
es gar bis in das Programm des Nachrichtensenders N-TV geschafft.
Stillschweigende Haftungsbeschränkungen werden in den Sonderfällen von
Gefälligkeitsleistungen gelegentlich angenommen, etwa bei Nachbarschaftshilfen
(Umzug) oder bei Rettungsmaßnahmen (Feuerlöschen). Der BGH hat bei der Frage,
in welchen Fällen und nach welchen Parametern eine solche stillschweigende
Haftungsbeschränkung anzunehmen ist, eine derartige Entscheidungsvielfalt an
den Tag gelegt, dass ein zusammenfassender Überblick erforderlich erscheint.
Zunächst hat der VI. Senat (zuständig für Haftung)
entschieden, dass das Bestehen einer Haftpflichtversicherung in der Regel gegen
eine stillschweigend vereinbarte, den Schädiger entlastende
Haftungsbeschränkung spricht (VersR 2016, 1264). Das Urteil steht in langer
Tradition (vgl. etwa schon BGH NJW 92, 2474 = VersR 92, 1145; BGH NJW 1993,
3067 = VersR 93, 1092; BGH NJW 2009, 1482 = VersR 2009, 558 (Rdn. 16)). Im
konkreten Fall hatte der Beklagte im Wege einer neudeutsch „Homesitting“
genannten Nachbarschaftshilfe den Garten des Nachbarn während dessen Urlaubs
unentgeltlich bewässert und dabei vergessen, die Wasserzufuhr abzudrehen.
Daraufhin löste sich der Schlauch, es trat in erheblichem Umfang Wasser aus.
Das Gebäude des abwesenden Nachbarn wurde unter Wasser gesetzt. Die
Gebäudeversicherung des Nachbarn hatte den Schaden reguliert und nahm nunmehr
den Helfer in Anspruch.
Der VI. Senat gab dem Versicherer recht. Eine
stillschweigende Haftungsbeschränkung könne nur in Ausnahmefällen und
prinzipiell nur angenommen werden, wenn der Schädiger einen Haftungsverzicht
gefordert und sich der Geschädigte diesem ausdrücklichen Ansinnen billigerweise
nicht hätte versagen können, wäre die Frage der Haftung vorher zur Sprache
gekommen. Bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung, die den Schädiger von dem
verursachten Schaden freizustellen habe, scheide eine solche „künstliche Rechtskonstruktion
aufgrund einer Willensfiktion“ von vornherein aus, so die Richter des VI.
Senats. Das gelte auch, wenn der haftpflichtversicherte Schädiger Konsequenzen
fürchten müsse wie eine Prämienerhöhung oder eine Vertragskündigung.
Dass freundliche Nachbarn es sich dreimal überlegen müssen,
bevor sie – freiwillig, ohne Not und ohne Gegenleistung, also aus reiner
Gefälligkeit – Hand anlegen, ändert nichts: Das Bestehen der
Haftpflichtversicherung verhindert nach Ansicht des VI. Senats die stillschweigende
Haftungsbeschränkung, denn durch die Beschränkung würde nicht der Schädiger,
sondern der Haftpflichtversicherer entlastet. Dass auch auf Seiten des
Geschädigten ein Versicherer vorhanden ist, nämlich der eintrittspflichtige und
regressierende Gebäudeversicherer, soll daran nichts ändern. Denn der Anspruch
sei originär in der Person des Geschädigten entstanden und würde inhaltsgleich
gemäß Paragraf 86 Versicherungsvertragsgesetz auf den Gebäudeversicherer
übergehen, so die Richter.
Das sieht der IV. Senat (zuständig für Versicherungsrecht)
grundsätzlich anders. Dieser hat aus dem Abschluss eines
Versicherungsvertrages, mit dem ein Vermieter sein Gebäude versichert, einen
stillschweigenden Haftungsverzicht des Versicherers (!) gegenüber dem am Versicherungsvertrag
gar nicht beteiligten Mieter abgeleitet, sofern dieser einfach (und nicht grob)
fahrlässig gehandelt hat. Das gelte auch, wenn der Mieter haftpflichtversichert
ist (VersR 2017, 36). In diesem Fall war es aufgrund einer ungesicherten
Butangasflasche zu einer Explosion im Badezimmer des Mieters gekommen, der in
seiner Wohnung 144 Cannabispflanzen hegte und diverse Chemikalien und
Lösungsmittel zur Drogengewinnung bereithielt (was beruhigenderweise immerhin
zur Annahme grober Fahrlässigkeit führte).
Das wiederum überzeugte den VI. Senat nicht. Nein, nicht der
Gebäudeversicherer erkläre einen stillschweigenden Haftungsverzicht gegenüber
einem Dritten (Mieter) – das sei ja eine noch künstlichere Fiktion als die
ohnehin schon „künstliche Rechtskonstruktion“ des stillschweigenden
Haftungsverzichts der Handelnden untereinander. Es könne allenfalls ein solcher
Verzicht des Vermieters gegenüber dem Mieter angenommen werden, jedenfalls
dann, wenn er die Prämien für die Gebäudeversicherung auf den Mieter umgelegt
habe. Aber warum das dann nicht auch für den hilfreichen Homesitter gelten
soll, bei dem ja der Abschluss eines Gebäudeversicherungsvertrages gerade
keinen Haftungsverzicht mit sich gebracht hat, bleibt unklar. Zwar zahlt der
Mieter einen Teil der Prämie (über die Miete) und er haftet aus Vertrag,
während der Nachbar gesetzlich haftet, dafür wird er aber aus reiner
Gefälligkeit aktiv, was ihn schutzwürdiger als den Mieter erscheinen lässt, den
ja eine Obhutspflicht für die Mietsache trifft. Vor allem aber: Können solche
Marginalien einen derartigen Unterschied bei strukturell gleichem Sachverhalt
rechtfertigen?
Das alles ist verwirrend: Warum die Existenz der
Haftpflichtversicherung auf Seiten des Schädigers eine Reflexwirkung haben
soll, das Vorhandensein einer Gebäudeversicherung auf Seiten des Geschädigten
aber nicht, ist schon nicht nachvollziehbar. Wenn man beim IV. Senat gelandet
ist, soll es genau anders herum sein: Dort wirkt die Gebäudeversicherung
haftungsverneinend und die Haftpflichtversicherung des Mieters soll daran
nichts ändern. Der Hinweis des VI. Senats, dass die Existenz des
Gebäudeversicherers am originären Haftpflichtanspruch nichts ändere, könnte
inhaltsgleich auch auf die Situation des Schädigers übertragen werden. Es
scheint inkonsistent, diesen einen, ansonsten zu bejahenden Haftungsverzicht
durch das bloße Bestehen einer Haftpflichtversicherung zu versagen. Dabei wird
nicht einmal bedacht, ob die Haftpflichtversicherung den Schaden auch
tatsächlich deckt. Bei Vereinbarung eines Selbstbehalts müsst der BGH
konsequent in dessen Höhe von einem Haftungsverzicht ausgehen, darüber hinaus
aber nicht. Causa finita? Man wird sehen.