Scharfe Maßstäbe


Fromme-NL, 05.02.2018

Der Anschein mag trügen, aber es sieht ganz danach aus, als hätte der Bundesgerichtshof (BGH) seine Maßstäbe bei der AGB-rechtlichen Überprüfung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen verschärft. Dabei sind die Spielregeln klar: Vor der Verwerfung einer Klausel wegen Intransparenz und/oder Unangemessenheit ist ihr Regelungsgehalt durch Auslegung zu bestimmen. Bei dieser Auslegung kommt es auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an, von dem die aufmerksame Durchsicht der Bedingungen, deren verständige Würdigung und die Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges erwartet wird.

In einer weithin beachteten Entscheidung aus dem Jahre 2005 hatte der Bundesgerichtshof in Bezug auf die „verständige Würdigung“ und den „erkennbaren Sinnzusammenhang“ noch hervorgehoben, dass „dem Versicherungsnehmer nicht jegliches Nachdenken erspart“ bleiben könne (BGH, Urteil vom 23. Februar 2005; Az. IV ZR 273/03). Zugrunde gelegen hatte die Behauptung des Klägers, eine Fristenregelung in der Unfallversicherung sei intransparent. Dem war der BGH nicht gefolgt, vielmehr hatte er ausgeführt, dass „eine Überspannung des Transparenzgebotes … letztlich wieder Intransparenz mit sich bringen“ würde. Davon scheint der BGH jetzt Abstand zu nehmen. Anlass für diese Befürchtung sind drei Entscheidungen jüngeren Datums, zwei zur Forderungsausfall- und eine zur Gebäudeversicherung.

In der ersten Entscheidung aus dem Jahre 2016 ging es um eine Ausfallversicherung, die ergänzend zur Haftpflichtversicherung des Versicherungsnehmers Deckung dafür bot, dass der von einem Dritten geschädigte Versicherungsnehmer mit seiner Forderung gegen den Schädiger ausfiel (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015; Az. IV ZR 269/14). Dabei wird im Wege einer Fiktion Versicherungsschutz für solche Handlungen des schädigenden Dritten geboten, die unter die für den Versicherungsnehmer geltenden Haftpflichtversicherungsbedingungen fallen. In dem zu entscheidenden Fall war der Versicherungsnehmer auf dem Weg zur Arbeit vom Schädiger angegriffen und erheblich verletzt worden. Die rechtskräftig festgestellte Schmerzensgeldforderung konnte wegen Insolvenz des Täters nicht vollstreckt werden. Der Versicherer hatte mit dem Argument Deckung verweigert, dass der Überfall den Ausschluss des „ungewöhnlichen und gefährlichen Tuns“ erfülle. Dem ist der BGH nicht gefolgt: zwar sei ein Überfall ebenso ungewöhnlich wie gefährlich, dennoch sei der Ausschluss nur erfüllt, wenn die ausgeschlossene Betätigung von gewisser Dauer sei. Das müsse bei einem einmaligen Vorgang wie jenem Überfall verneint werden.

Auch die zweite Entscheidung zu diesem Themenkreis ist bemerkenswert (BGH, Urteil vom 13. September 2017; Az. IV ZR 302/16): Hier hatte der Versicherungsnehmer einer Forderungsausfallversicherung wiederum erfolglos versucht, aus einem rechtskräftigen Titel, dem ein sogenanntes verbotenes Einlagegeschäft zugrunde lag, gegen seinen Anlageberater zu vollstrecken. Auch hier verweigerte der Versicherer Deckung, weil bezüglich des Schädigers der Ausschluss der „beruflichen Betätigung“ anzuwenden sei. Während das OLG Karlsruhe als Berufungsgericht „keinen Zweifel“ hatte, dass es in Bezug auf den fraglichen Ausschluss nicht auf die Person des Versicherungsnehmers, „sondern auf die des Schädigers ankomme“, erkannte der BGH in der Klausel einen Verstoß gegen das Transparenzgebot. Es sei dem Ausschluss nicht mit letzter Klarheit zu entnehmen, ob hier auf die berufliche Tätigkeit des Schädigers oder die des Versicherungsnehmers abzustellen wäre. Der BGH vermisst eine „eindeutige Klarstellung“, weil nirgendwo darauf hingewiesen wurde, dass bei der Ausfallversicherung „der Schuldner als Anspruchsgegner gedanklich an die Stelle des Versicherungsnehmers zu setzen“ wäre.

Gegen diese Argumentation gibt es einige Bedenken. Eine berufliche Tätigkeit des Versicherungsnehmers kann nämlich nicht kausal für den Schaden werden, der Ausschluss liefe vollkommen ins Leere. Wollte man in Anbetracht der schädigenden Handlung darauf abstellen, ob der Versicherungsnehmer in beruflicher Eigenschaft mit dem Schädiger zusammengetroffen wäre (in dem oben ausgeführten ersten Fall wäre beispielsweise ein Rechtsanwalt auf dem Weg zum Gericht gewesen, als er von dem Täter überfallen und verletzt wurde), dann wäre die Berufsausübung nie adäquat kausal für die schadensstiftende Handlung, der Ausschluss der „beruflichen Betätigung“ wäre in keinem denkbaren Fall anwendbar. Und wegen ihrer vom BGH angenommenen Intransparenz ist sie eben auch nicht auf den schädigenden Dritten anwendbar, sodass der Versicherer der Forderungsausfallversicherung also auch für Schäden aufkommen muss, die ersichtlich nie in seine Prämienkalkulation eingeflossen sind. Und schließlich: Wenn unklar sein soll, auf welche Person abzustellen ist, warum stellt das Gericht nicht einfach auf beide ab? Wenn einer von beiden – der Versicherungsnehmer oder sein Schädiger – in beruflicher Tätigkeit aktiv war, besteht kein Versicherungsschutz.

Aber die Tendenz der BGH-Rechtsprechung scheint eindeutig zu sein. Dafür spricht auch ein Urteil zur Gebäudeversicherung aus dem Jahre 2017 (BGH, Urteil vom 12. Juli 2017; Az. IV ZR 151/15). Danach können Schäden „durch Schimmel“ zwar ausgeschlossen werden, ohne dass eine solche Klausel gegen das Transparenzgebot verstoßen würde. Laut BGH könne aber eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers vorliegen, weil nämlich der Vertragszweck bei prinzipiellen Schimmelausschlüssen gefährdet wäre, wenn es sich bei dem Schimmel um eine „regelmäßige oder zumindest sehr häufige, zwangsläufige und kennzeichnende Folge des Austritts von Leitungswasser“ handele. Das müsse vom Tatrichter unter sachverständiger Beratung überprüft werden. Bedenkt man, dass der BGH im Jahre 2012 exakt die gleiche Klausel für gültig gehalten hat (BGH, Urteil vom 27. Juni 2012; Az. IV ZR 212/10), soweit es um Schwammschäden ging, wird die Tendenz zur verschärften Klauselkontrolle umso deutlicher. Auch wenn im Schwammschaden-Fall nichts zur Vertragsgefährdung vorgetragen wurde, hätte dieser Umstand leicht als „gerichtsbekannt“ vorausgesetzt werden können. So hätte man zwei diametral entgegengesetzte Entscheidungen zur gleichen Klausel vermieden.

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