Bürger-Verunsicherung
Fromme-NL, 08.01.2018
Die Sondierungen für eine Neuauflage der großen Koalition
haben auch ordnungspolitische Altlasten wieder hervorgebracht, wie die von der
SPD favorisierte und mit einem irreführenden Etikett ausgestattete
„Bürgerversicherung“. Obwohl fast unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Pläne
allseitige Warnungen vor einer solchen für alle Beteiligten nachteiligen Institution
einsetzten, halten die SPD und ihr gesundheitspolitischer Sprecher Karl Lauterbach
unbeirrt an ihrem Vorhaben fest. Grund dafür ist eine ansonsten angeblich drohende
„Spaltung der Gesellschaft“; ausgerechnet eine Zwangsbewirtschaftung des Mikrokosmos
der privaten Krankenversicherung soll dazu beitragen, das „Auseinanderdriften
unterschiedlicher Bevölkerungsteile“ zu verhindern
Erneut wird eine gigantische Umverteilungsmaschinerie mit
der „sozialen Gerechtigkeit“ gerechtfertigt, jenes vom Nobelpreisträger
Friedrich August von Hayek als „Wieselwort“ diskreditierte Phänomen, das er auf
die Fähigkeit des Wiesels zurückführte, ein Ei vollständig leer zu saugen, ohne
die äußere Hülle zu beschädigen.
Die Politik hat in der Vergangenheit schon alles dafür
getan, Sand in die an sich wunderbar funktionierenden Mechanismen der privaten
Krankenversicherung zu streuen. Die Einführung einer allgemeinen
Versicherungspflicht bei gleichzeitigem Kontrahierungszwang auf dem
Mindestniveau eines an der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) orientierten
Basistarifs ohne vorangehende Gesundheitsprüfung führt zwangsläufig zu einem
chronischen Defizit, das zunehmend quersubventioniert werden muss. Die
Entgeltkalkulation auf der Basis einer prozentualen Beitragsbemessung anhand
des jeweiligen Arbeitseinkommens führt zwingend zu einer fehlenden Kongruenz
zwischen Ausgaben- und Einnahmenseite und die daraus resultierende negative
Risikoselektion führt zu einer weiteren Entmischung der Risiken und damit zu
einer Schwächung der privaten Krankenversicherung. Dieses von der Politik
selbst verursachte Defizit wird dann von ihr zum Vorwand genommen, auf die fehlende
Funktionalität der privaten Krankenversicherung hinzuweisen. Solcher Etikettenschwindel
zwingt zu dem Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur
Einführung des Basistarifs, der vom Gericht nur akzeptiert wurde, wenn dieser
„auf absehbare Zeit keine bedeutsamen Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der
PKV haben“ würde. Bei anderer Entwicklung sei der Gesetzgeber „zur Korrektur
verpflichtet“ (BVerfG VersR 2009, 957; Rn. 170).
Anstatt sich an dieses Postulat zu halten, wird das
Allheilmittel in der sogenannten Bürgerversicherung gesucht. Tatsächlich wird
hier die Inkongruenz zwischen Einnahmen und Ausgaben zwingend festgeschrieben.
Die Einnahmen basieren nicht auf den sogenannten Kopfschäden und mithin an den
für die Krankheitsbehandlungen aufzuwendenden Kosten, sondern am jeweiligen
Einkommen, während die Ausgaben sich eben an der medizinisch notwendigen
Leistungserbringung orientieren. Die Einnahmen der Ärzte werden jährlich
kontingentiert, wobei einem „Bewertungsausschuss“ die sogenannten „Preis- und
Mengenkomponenten“ zur Festlegung von Maxima dienen (mit der Folge, dass der
Arzt nach Erreichen dieser Werte joggen geht … oder Privatpatienten behandelt).
„Gerecht“ ist daran nur, dass es dann allen schlechter geht,
aber gleich schlecht. So sind denn auch Warnungen von allen betroffenen Kreisen
erhoben worden: der PKV-Verband weist auf den denkbaren Wegfall von 68.000
qualifizierten Arbeitsplätzen hin, die Bundesärztekammer spricht von einem
„Turbolader in die Zwei-Klassen-Medizin“. In der Tat: Nimmt man den Ärzten die
Subventionierung durch die PKV, die durch die Unterversorgung der GKV entsteht,
werden der medizinischen Versorgung Milliardenbeträge entzogen. Die
Bertelsmann-Stiftung will das sinnigerweise dadurch kompensieren, dass man die
Beamten demnächst gesetzlich versichert, was zirka 60 Mrd. Euro freisetzen
würde. Auch das ist typisch: Einem nicht gerade kleinen Teil der Bevölkerung
sollen gesetzlich zugesicherte Rechte genommen werden, um es für andere ein
bisschen „gerechter“ zu machen. Die FAZ fühlte sich beim „linken Restposten
Bürgerversicherung“ an das Loriotsche Jodeldiplom erinnert, das sei mal „was
eigenes“, was die Bundeskanzlerin der SPD an „programmatischen Restbeständen“
noch nicht streitig gemacht hätte.
Und noch etwas ist ungeklärt. Zwar sagt selbst der eifrigste
Befürworter der Bürgerversicherung, eben jener SPD-Politiker Lauterbach, dass
die Alterungsrückstellungen der bisher privat Krankenversicherten unantastbar
seien, allein es fehlt einem angesichts des riesigen Betrages in Höhe von rund
230 Mrd. Euro, die sich inzwischen angehäuft haben, der Glaube. Es ist so gut
wie sicher, dass die Umverteilungsphantasien vor den verfassungsrechtlich
geschützten Anwartschaften nicht Halt machen werden, wenn erst einmal eine
Bürgerversicherung durchgesetzt wurde. Vor diesem Hintergrund sei die Frage
erlaubt, warum eigentlich nur die PKV in Frage gestellt wird und nicht das –
jedenfalls versicherungsmathematisch – mangelhafte Modell der gesetzlichen
Krankenversicherung. Bei der PKV sind wenigstens die Einnahmen- und
Ausgabenseiten kongruent, während beim Umlagesystem der GKV das eine
(Einkommen) mit dem anderen (Kosten für die Gesundheitsversorgung) nicht das
Geringste zu tun hat. Wenn schon gerecht, dann richtig. Härtefälle könnten bei
einer allgemein geltenden privaten Krankenversicherung – wie jetzt auch schon –
durch Basis- und Notlagentarife aufgefangen werden. Das würde funktionieren,
und hätte zusätzlich den Vorteil, fiskalisch – also von allen Bürgern, die
Steuern zahlen, und nicht nur von den wenigen Privatversicherten – finanziert
zu werden.